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5000 Hours around the world: Weltreise
Dienstag, 27. März 2012
Hongkong (31.10.- 9.11.2011)
Wir beginnen unseren Besuch in Hong Kong im Niemandsland. Richtig gelesen, im Niemandsland.
Dieses befindet sich über dem Perlfluss, der Festlandchina mit Hongkong verbindet und zugleich die Grenze zwischen beiden Territorien darstellt- tritt man also aus China heraus und überquert den Fluss, ist man offiziell im Nirgendwo. Klingt magisch? Naja, Hongkong nimmt einem relativ schnell die Illusionen eines hinter dem Niemandsland liegendem Idyll. Lärmend und Hektisch brummt und kreischt die Stadt vor sich hin- 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Ja, Hongkong schläft nie.
Am Schlimmsten ist es in dem Viertel, wo wir unsere ersten Nächte ausharren müssen. Mong Kok heißt das Teufelsloch, wo wir unser „Hostel“ oder besser unsere Gefängniszelle suchen. Es befindet sich in einem riesigen dreckigen Hochhaus, in dem es auf 20 Stockwerke verteilt noch 5 andere Hostels gibt. Das „Hotelzimmer“ für gesalzene 34 Euro! ist grauenhaft- 6 Quadratmeter für 3 Personen, kein Fenster, kaum Licht, dafür in der Wandverkleidung Unmengen an Käfern und anderem Getier, das ich nicht ganz benennen kann. Wenigstens ist das Bad praktisch- auf den ganzen eineinhalb Quadratmetern kann man zur gleichen Zeit Duschen, Zähneputzen und auf die Toilette gehen. Ein Traum.



Im Gegensatz zum sauberen, aufgeräumten Shanghai (Ja, jetzt kann ich dem ganzen was abgewinnen) wimmelt die Stadt von Menschen. Es ist unmöglich, einen Schritt zu tun ohne gleichzeitig jemanden anzurempeln, überall schreien einem die grellbunten Reklamen entgegen und der hupende Verkehrsstrom bläst einem den Smog ins Gesicht. Wenigstens sind wir hier nur für maximal 3 Tage.
Dachte ich.



Aber Hongkong hat andere Pläne. Es stellt sich heraus, dass Franzosen hier Personas non gratas, Unerwünschte, sind, kurz, Jérémy bekommt kein zweites Visum.
Außer, er würde bereits ein Rückflugticket besitzen, Buchungen aller Hostels vorweisen können, die er vorhat, im nächsten Monat zu besuchen und hätte mindestens 3000 Euro aktuell auf dem Konto.
Okay, Plan B: Reiseagentur. So schwer kann das ja wohl nicht sein, ein Visum zu bekommen. Doch auch hier wird er schief angesehen, als er angibt, Franzose zu sein und darf erst mal 850 HK$ (ca. 85 Euro) zahlen, um das Visum irgendwann zwischen in 3 Tagen und 2 Wochen abzuholen. Na Prima.

Um die Zeit wenigstens sinnvoll zu nutzen, brechen wir auf, den Rest von Hongkong zu sehen. Mit einer Fähre der „Starferry“-Gesellschaft, die es schon seit 1888 gibt, aber immer noch denselben Preis von 2 HK$ verlangt, setzen wir zum Stadtteil „Central“ über, das sich auf dem Inselteil (Hongkong ist durch das Meer in zwei Teile geteilt) befindet. Vom Meer aus betrachten wir die gewaltige Skyline Hongkongs und erklimmen dann auf der Insel einen Hügel, auf dem sich ein kleiner süßer Park befindet, wo wir uns erst einmal ausruhen. Die Sonne scheint prall vom Himmel auf unsere von der mongolischen Wüste gerade kältegeprüften Körper und hat uns bereits nach einer halben Stunde völlig erschöpft.



Am Ende unserer ersten Woche in Hongkong verändert sich unsere weitere Reiseplanung etwas- zum Einen finden wir endlich einen Couchsurfing Platz (yuhu!) und zum anderen entscheidet sich Evi, uns zu verlassen, um dann nach Neuseeland und Australien weiter zu reisen.

Die Wohnung von Martin, unserem CS Host, liegt auf der Insel Hongkong und ist großartig. Im Vergleich zu unserem Hostel ist sie das reinste Paradies- ein eigenes Schlafzimmer, ein riesiges Wohn- und Badezimmer!
Zu seiner Wohnung in Soho kommen wir mit den berühmten Rolltreppen, die die Viertel am Victorias Hill miteinander verbinden- morgens führen diese nach Unten und die Menschen zur Arbeit, am Abend führen sie nach Oben, um sie wieder nach Hause zu bringen. Soho ist ein unglaublich europäisches Viertel, was man nicht nur an den Preisen erkennt- auf den Straßen sieht man kaum ein asiatisches Gesicht. Viele der hier lebenden Europäer arbeiten im riesigen Bankenviertel Hongkongs, was dadurch erleichtert wird, dass englisch neben chinesisch die offizielle Amtssprache ist.

Auf Martins Rat hin besichtigen wir den Victorias Peak- den Berg, der über Hongkong thront. Der Aufstieg ist mühsam in der Hitze und auch die tausend Moskitos helfen nicht gerade dazu. Dennoch ist der Ausblick berauschend und wir bereuen es keine Sekunde, uns hier hochgeschleppt zu haben. Den Abstieg übernimmt eine Art Tram für uns, die in fast 90° Grad und beängstigend schnell den Berg hinabrauscht.



Am nächsten Tag fahren wir schließlich zur Reiseagentur- und ich kann es kaum fassen- nach eineinhalb Wochen warten und 85 Euro bekommt Jérémy ein Visum –
für 5 Tage. 5! Tage!!! Der Grund? Persönlich. Was zum Teufel denken sich die chinesischen Behörden, soll man als Tourist in einem fast 10 Millionen Quadratkilometer großem Land mit 5 Tagen anfangen? Von einem Ort zum anderen fahren dauert mindestens schon einen ganzen Tag. Unglaublich. All unsere eifrig geschmiedeten Pläne scheinen sich vor unseren Augen in Luft auf zu lösen.
Doch wir geben nicht auf- eine letzte Möglichkeit bleibt: Die Verlängerung des Visums innerhalb von China-
Doch das ist eine andere Geschichte.




Donnerstag, 15. März 2012
Shenzhen oder Das chinesische Überraschungsei (27.- 31.10. 2011)
Unser erster Monat in China neigt sich langsam dem Ende zu, am 8.11 müssen wir bereits das Land verlassen haben. Da Evi und ich allerdings ein Visum mit doppeltem Eintritt besitzen, beschließen wir nach Hongkong zu fahren und von dort einen weiteren Monat China anzutreten. Hongkong gehört als Sonderverwaltungszone mit seinem Autonomiestatus und demokratisch marktwirtschaftlichem System visatechnisch nicht zur Volksrepublik China, also können wir so einmal aus- als auch wieder nach China hinein reisen.
Doch wie wir erfahren sollen, lässt Shanghai uns nicht einfach so ziehen, wie wir uns das vorgestellt haben. Am Ticketschalter des Bahnhofs der Schock- bis Dezember sind alle Tickets nach Hongkong ausgebucht!
Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns schließlich, dem Tipp von Jennifer, unserem Couchsurfing Host, nach zu gehen und kaufen uns Tickets nach Shenzhen. Die Stadt, die lediglich durch einen Fluss von Hongkong getrennt noch auf der Seite Chinas liegt, ist durch eine U-Bahn mit HK verbunden, mit der man gleichzeitig die Grenze überqueren kann. Soweit der Plan.



Dieses Mal haben wir Erfolg und erstehen dritte Klasse Schlafwagons, Hard Sleeper genannt, deren Betten gar nicht so unbequem sind, wie der Name verspricht; aber im Vergleich zu unseren ersten beiden Zugfahrten in China hätte ich wohl jede brettharte Matte, die größer als die 20x20 Quadratzentimeter der Hard Seats ist, als bequem empfunden.
Im Zugwagon gibt es etwa 10 offene Abteile, in denen sich jeweils zwei Dreierstockbetten gegenüberstehen. Viel Platz ist zwar nicht und der gemeine Chinese liebt es auch hier, laut schlürfend die vor Chilipulver rot schimmernde Instantnudelsuppe in sich hineinzuschütten, aber es gibt Decken und Kissen und Platz für die Beine- purer Luxus! Gegen 10 Uhr nachts wird dann ohne Warnung das Licht gekappt (etwas verwirrend, wenn man gerade beim abendlichen Imbiss sitzt und plötzlich die Stulle im Nichts verschwindet) und fast gleichzeitig setzt ein ohrenbetäubendes Schnarchkonzert des dicklichen Familienvaters unter mir und des etwa 16-jährigen Karaoke-Freaks über mir (oh ja, Karaoke, im Zug, in voller Lautstärke) ein. Dann mal gute Nacht.



In Shenzhen angekommen gibt es erstmal ein riesiges Chaos, da wir den Bus zu unserem Hotel nicht finden können. Es liegt etwas außerhalb des Stadtkerns, da alle Hotels dort schon ausgebucht sind- offensichtlich hatten wohl Einige dieselbe Idee wie wir. Da sich selbst die Chinesen hier unschlüssig sind, wo denn der Bus nun fährt, irren wir diverse Stunden durch die Stadt bis wir das Hotel endlich finden. Doch selbst hier angekommen, können wir noch nicht in die Betten fallen- dem Personal zufolge sind die Preise viel höher als wir recherchiert hatten und sowieso sei das Hotel ausgebucht. Das ist uns völlig unerklärlich, denn einer Bookingseite im Internet nach ist das Hotel zu 80% unausgelastet. Schließlich buchen wir über das Internet (das wir über den Computer in der Lobby des Hotels benutzen) ein 3 Bett Zimmer zu einem absolut günstigen Preis und siehe da- das Personal findet plötzlich doch noch Platz für uns. Seltsam.

Es ist mittlerweile schon Donnerstagabend und wir beschließen, erst Montag (und damit Arbeitstag) nach Hongkong zu fahren, damit Jérémy sein zweites Visum für China am Amt gleich beantragen kann. Also haben wir etwas Zeit, Shenzhen zu besichtigen und ich fahre mit Jérémy zu einem wunderschönen Botanischen Garten, der sich über 214 Quadratkilometer etwas außerhalb der Stadt erstreckt. Es ist zugleich ein beliebtes Ausflugsziel für chinesische Familien, die hier mit Kind und Kegel anrücken und riesige Picknicks veranstalten. Das erste Mal seit Anfang meiner Reise ist das Klima subtropisch- es hat 30 Grad im Schatten (Ende Oktober!) und ich trage das erste Mal Rock und Flipflops.



Auf einem Hügel, von dem man einen schönen Blick über den Park hat, steht ein Tempel, in dem immer noch Mönche leben und arbeiten. Wir eifern ein Paar Einheimischen nach, die in eine kleine gusseiserne Pagode vor dem Tempel Münzen werfen, anscheinend eine Art Brauch, die Glück bringt, sollte man in das Innere treffen. Jérémy hat das irgendwie nicht so ganz verstanden und wirft kurzerhand die Münze durch die Pagode durch, so dass sie auf der anderen Seite- und auf dem Kopf eines betenden Mönches landet. Schnell weg hier…



Wir wandern etwas durch den Park und kommen an einen kleinen See, auf dem wir eine Bootstour machen. Als wir am anderen Ende des Sees ankommen, kann ich meinen Augen kaum trauen- vor uns sitzt in etwa 15 Metern Entfernung ein Eisvogel! Ein unerwartet schöner Zwischenstopp, Shenzhen!



Am nächsten Tag entdecken wir, dass der Strand von Shenzhen nicht weit ist und Evi und ich rücken aus, um diesen unter die Lupe zu nehmen. Mithilfe einiger Zeichnungen und Schriftzeichen, die ich aus dem Internet abgemalt habe, schaffen wir es, dort anzukommen. Auch hier nur chinesische Familien und Jugendliche, weit und breit kein weißes Gesicht außer uns. Das scheint auch den Chinesen aufzufallen, denn nachdem wir 10 Minuten im Sand sitzen und die Sonne genießen, kommen plötzlich zwei junge Chinesinnen auf uns zu, die uns kichernd um die Erlaubnis bitten, ein Bild von uns machen zu dürfen. Als ob das den Startpfiff gegeben hätte, strömt auf einmal eine ganze Schar von Chinesen herbei, die sich vor uns mit ihren Kameras aufbauen und wie wild zum fotografieren anfangen. Ich fühle mich etwas wie eine Zooattraktion.



Auch die Badegewohnheiten sind etwas seltsam- während wir im Bikini dasitzend um uns herumschauen, sehen wir, dass wir auch damit die Einzigen hier sind- fast alle Chinesen, vor allem die Mädchen, gehen mit ihrer gesamten Garderobe ins Wasser- samt Jeans und Sweatshirt. Anscheinend ist China in dieser Hinsicht doch noch etwas konservativ. Aber wir sind ja auch noch nicht in Hongkong…




Mittwoch, 7. März 2012
Shanghai, der Okzident im Orient
Die Lichter der 23 Millionen Stadt strahlen uns schon von weitem entgegen, als wir mit dem Zug gen Osten fahren. Abermals mussten wir 20 Stunden auf unbequemen Minisitzen ausharren, diesmal allerdings ohne unser Verschulden- es gab schlicht und einfach keine Betten mehr.



Mit der hochmodernen Shanghaier Metro geht es nach der Ankunft ins Wirtschaftsviertel, wo uns schon unser nächster Couchsurfing Host erwartet-Jennifer, eine niedliche kleine Chinesin, die ursprünglich aus Sichuan stammt. Doch selbst das U-Bahn fahren ist anders in China: Die Eingänge der Metrostationen erinnern an die Check-Ins an Flughäfen- große Röntgenscanner und Personal stehen für die Kontrolle jeder Person bereit, die gewillt ist, in die Station zu treten. Für die Sicherheit ein Plus, aber mit einem 20 Kilo Backpack ist das dann doch nicht so der große Spaß.

Als wir schließlich aus der unterkühlten U-Bahn an die Oberfläche fahren, stehen wir in New York. Naja, nicht ganz New York, aber so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Alleen von riesigen Stahlwolkenkratzern mit Glasfronten strecken sich in alle Richtungen, die Schriftzüge von teuren internationalen Modemarken glitzern in Gold und Silber an jeder Ecke und wichtig aussehende Business-Chinesen laufen mit starr geradeaus gerichteten Blicken auf den sauberen Bürgersteigen an perfekt getrimmten Buschwerk vorbei- die Männer in Anzügen, die Frauen in Kostümen.



Am Abend erkunden wir auf der Suche nach Essen das Viertel und kommen an einer Art Kreuzung an, wobei „Kreuzung“ etwas zu niedlich klingt für das, was sich vor uns auftürmt: Etwa fünf Meter über den in alle Richtungen strömenden Verkehr thront ein pompöses Rondell, das als Fußgängerüberweg funktionieren soll, mit seinen in allen Farben strahlenden Lichtern aber eher aussieht wie eine Achterbahn. Dahinter ragt ein nicht minder pompöses, raketenförmiges Gebäude in die Höhe, das dem Rondell im Lichterfunkeln in Nichts nachsteht- die „orientalische Perle Asiens“, in der sich ein überteuertes, sich drehendes Teehaus befindet.



Etwas weiter entdecken wir das World Financial Center, eines der höchsten Gebäude der Welt, das sich bis ins Unendliche in den Himmel zu erstrecken scheint. Leider scheinen sich hier auch die Preise ins Unendliche zu erstrecken, wie wir herausfinden sollen, naja ist eben auch New York. Äh Shanghai.
Der Fluss „Huangpu“ spaltet die Stadt in zwei Teile- am Flussufer sitzend genießen wir die Skyline der gegenüberliegenden Seite, „the Bond“ genannt, die sich im blau- schwarzen Wasser des Flusses goldschillernd spiegelt.



Den nächsten Tag wollen wir die ehemalige „Französische Konzession“ besichtigen, ein französisches Viertel aus der Zeit, in der die Sonderhandelszonen in chinesischen Hafenstädten eingeführt wurden und die stärksten Handelspartner Chinas, Frankreich und England, dort ihre eigenen Bezirke errichteten. Nach einer zermürbenden Suche nach dem Viertel, während uns der Nieselregen die Sicht trübt, ist das endlich erreichte Ziel dann eher enttäuschend. In den wenigen, im französischen Kolonialstil erbauten Gässchen haben sich einige superteure französische Restaurants angesiedelt, sonst ist hier nicht viel zu sehen. Um den Tag zu retten, fahren wir dann noch ins (gottseidank kostenlose) National Museum, wo wir unter anderem traditionelle Malerei, Gewänder, Jadekunst und Kalligraphie bestaunen können.

Auch die nächsten Tage erfüllen nicht ganz meine Erwartungen. Während der als „Venedig Chinas“ angepriesene Vorort „Qiabao“ Nichts mehr als eine Touristenfalle am Fluss ist, von der aus man in alle Richtungen die hässlichen Neubauten der Banlieues Shanghais erkennen kann, sind die mystisch klingenden „Souzhou Gärten“ zwar eine nette Abwechslung zur hektischen Großstadt, aber im Ganzen doch auch eher ernüchternd.



Als wir die Stadt schließlich verabschieden, bin ich fast etwas froh, meiner desillusionierten Version von Shanghai zu entkommen.




Samstag, 3. März 2012
Xi´an, die Stadt der roten Armee
Der Abschied von Peking fällt uns schwer, aber man soll ja gewöhnlich aufhören, wenn´s am Schönsten ist. Außerdem erwartet uns auch schon die nächste Stadt- Xi´an, der Ausgangspunkt der damaligen Seidenstraße, in der es eine mystische rote Armee zu erkunden gibt.
Doch zuerst einmal müssen wir dorthin kommen; die Dimensionen der Distanzen zwischen den Städten sind in China etwas größer als in Deutschland, ist China etwa gleich groß wie alle Länder in Europa zusammen. Einfacher als gedacht erstehen wir für 19 Euro die Karten, natürlich dritte Klasse (Hard Seats genannt), sonst wär man ja kein Backpacker.
Großer Fehler! 21 Stunden sitzen wir eingequetscht zwischen pausenlos Instantnudeln in sich reinstopfenden Chinesen auf zu kleinen Sitzen im überfüllten Zug- an Schlaf ist hier kaum zu denken. Um den allgemeinen Chinesen zu unterhalten wird allerhand Ramsch verkauft- staunend sehen wir zu, wie viele Menschen hier ganz unbedingt einen Taschenspiegel mit Barbiemotiv brauchen. Unfassbar.
Anschließend, damit der gemeine Chinese nicht verdummt von zu viel in den Spiegel sehen (in einem kommunistischen Land wäre das Provozieren von Narzissmus ja geradezu ironisch) werden auf einer kleinen Tafel Dinge vorgerechnet, deren Sinn sich mir als Nicht-Chinesin irgendwie nicht erschließt.



Gerädert kommen wir dann endlich in Xi´an an. Unser Couchsurfing Host, Joy Jin, schläft noch, also müssen wir unseren Weg dorthin selbst finden. Nach einer interessanten Busfahrt, auf der alle 2 Minuten aus krächzenden Lautsprechern unverständlich die nächste Bushaltestelle verkündet wird, erreichen wir das Viertel in der Joy wohnt- ein regelrechter Hochhauswald, der gerade noch ausgebaut wird, jedenfalls der Teil, den wir in dem dichten Smog erkennen können.



Die Wohnung von Joy, in der sie mit ihrem schottischen Freund wohnt, ist äußerst spartanisch eingerichtet, denn, wie wir erfahren, wollen sie in zwei Tagen nach Peking ziehen. Ihren Freund hat sie auch über Couchsurfing kennen gelernt und nächstes Jahr steht schon die Hochzeit an. Uh la.

Nach einem ausgiebigen Nickerchen brechen wir auf, die neue Stadt zu erkunden. Joy ist auch dabei und zeigt uns zuerst einen Basar, auf dem allerhand verkauft wird. In verschiedenen Gässchen wird Schmuck, Seide und Ramsch angeboten, dann kommen wir in den Essensgässchen an. Ich entdecke eine riesige Schlange an Chinesen, die für etwas anstehen, das in einem ebenso riesigen Bottich verkauft wird. Neugierig stelle ich mich an und werde fürs Warten belohnt- für 50 Cent bekomme ich eine ausgiebige Portion heißen Pflaumenmus-Reis. Mjam!



Dann entdecken wir mitten im Viertel Dächer eines Gebäudekomplexes, das schon von außen märchenhaft aussieht. Überraschenderweise ist es eine Moschee- was man auf den ersten Blick nicht gerade erraten hätte: Um einen gemütlichen Garten sind niedliche graue Gebäude und Arkaden in chinesischem Architekturstil mit ihren gebogenen Dächern und verzierten Balken gruppiert, die eher an sehr alte Tempel erinnern, während auf den kleinen Wegen jedoch die Muslime mit ihren weißen Hütchen in der Sonne wandeln.



Um einen Überblick über die Stadt zu gewinnen, steigen wir auf die Stadtmauer Xi´ans, die sich 13,7 Kilometer um die Stadt spannt. Lustigerweise kann man auf der Mauer Räder mieten, was Jérémy und ich auch unverzagt tun. 1 ½ Stunden cruisen wir auf 12 Metern Höhe um die Innenstadt, während die Sonne langsam untergeht und die Lichterketten die Mauer in gedämpftes Licht tauchen.



Am nächste Tag machen wir uns auf Erkundungstour der roten Armee- es ist eine Armee aus Terakottafiguren, die sich auf 56 Quadratkilometern etwas außerhalb der Stadt erstreckt. Sie wurde 36 Jahre lang, begonnen im Jahr 210 vor Christus, von über 700.000 Arbeitern für den ersten chinesischen Kaiser erbaut- einen 13 jährigen Jungen namens Qin, um diesen nach seinem Tod mit seiner eigenen Armee ausstatten zu können. Um die Armee authentischer zu gestalten, wurde jede Einzelne der ca. 6000 Figuren in Lebensgröße dargestellt und individuell gestaltet, begonnen von Frisur und Mimik bis zum Schuhwerk und den Waffen. Beeindruckend.



Am Abend treffen wir noch einmal Joy und ihren Verlobten zur wie sie behaupten, zweitgrößten „musical fountain show“ in ganz Asien und tatsächlich ist es ein schönes Spektakel- um Punkt 8 erwacht der Brunnen in der Mitte der Stadt zum Leben- Fontänen von Wasser schießen mit Trommelwirbel in die Höhe, schaukeln und schunkeln zu klassischer Musik und rauschen schließlich unter großem Applaus wieder zurück in das Bassin.



Der Besuch in Xi´an war kurz, aber knackig und lässt uns mit einem Lächeln auf den Lippen weiter ziehen.




Dienstag, 14. Februar 2012
Peking, die verschleierte Schönheit Chinas (Teil 2)
Auch die zweite Hälfte unserer Woche in Peking ist spektakulär. Sie beginnt mit einem abermaligen Wechsel unseres Logis, diesmal kommen wir bei Saina, einer halb Chinesin, halb Mongolin unter. Sie ist Einkäuferin für eine Modefirma und hat eine süße kleine Wohnung mit extra Zimmer und Bad für uns etwas außerhalb der Stadt.



Sie ist gleichzeitig auch unser Guide für das Nachtleben Pekings- so werden wir in die Weinszene Pekings eingeführt, die sich einmal jährlich im Carrefour zur kostenlosen Weinverkostung trifft. Zu fabelhafter Livemusik wird Wein aus allen möglichen Ländern der Welt gekostet und begutachtet, gegurgelt und gespuckt.



Unser nächster Stopp an diesem Abend ist Pekings „High-Class“ Club, dessen Name ich leider vergessen habe- hier geben sich vor allem reiche Europäer die Ehre und tanzen unter aufwendigen Laserinstallationen zu europäischer Clubmusik.
Aber nicht nur die Pekinger Jugend lässt am Abend das Tanzbein schwingen- überall auf den Straßen sehen wir Rentner und Rentnerinnen, die im Tango, Foxtrott oder Chachacha über die Bordsteine fegen. Wie wir lernen sollen, ist auch das ein Teil der chinesischen Kultur- die älteren Herrschaften treffen sich im Herbst ihres Lebens auf den Straßen, um zu spielen, zu plaudern oder eben auch zu tanzen. Schöne Idee, oder nicht?



Nach einem etwas ruhigeren Hangover Tag folgt das weitaus Beeindruckendste, was Peking zu bieten hat: Wir besteigen die chinesische Mauer. Nach einer einstündigen Fahrt aus der Stadt für 70 Cent erklimmen wir die fast 9000 Kilometer lange Mauer, die sich mit ihren Zacken wie ein gigantischerDrache in die wunderschöne Landschaft schlängelt. Ca. 7000 Kilometer davon sind tatsächlich Mauer, der Rest sind Naturbarrieren wie Flüsse oder Bergkämme.



Als Abschied von Peking lassen wir uns noch einmal in ihr Nachtleben fallen. Von einer (viel zu teueren) Bar im 88. Stock des Peking World Trade Center genießen wir den Ausblick über die Stadt, deren bunte Lichter uns entgegenscheinen. Dann geht es in den Club „Xiu“, der im 14. Stock über der Stadt thront. Livemusiker geben berühmte Clubsongs zum Besten und die Pekinger Nachtszene tanzt, bis die die letzten Töne der Musik verhallen. Als die Sonne ihre ersten Strahlen über die Stadt blinzeln lässt, ist unsere Woche in Peking vorbei.




Mittwoch, 25. Januar 2012
Peking, die verschleierte Schönheit Chinas
Der Zug Nummer 023 mit den gardinenverhängten Fenstern und der langsam abblätternden Farbe, die wohl ursprünglich mal grün war, wird plötzlich langsamer, gibt ein letztes, eindrucksvolles Tuten von sich und bleibt schließlich stehen. Der Beginn meiner Reise in China ist gleichzeitig der Abschied von David und dem Nomadenleben in der Transsibirischen Eisenbahn.

Die erste Begegnung mit Peking spiegelt genau das wieder, was auch die Reise durch China sein wird- ein Abenteuer. Unter dem grau-rötlichen Himmel, der die Sonne hinter einem dichten Vorhang aus Smog verbirgt, suchen wir ein Taxi, das uns zu unserem ersten Hostel bringen soll.



Doch die Fahrt dorthin wird zur regelrechten Zerreißprobe- der Fahrer stapelt die Backpacks alle übereinander in den viel zu kleinen Kofferraum, lässt die Klappe offen und rast durch den in alle Richtungen strömenden Verkehr, der von „rechts vor links“ oder dem Begriff „Ampel“ nicht gar so viel hält. Natürlich, wie soll es anders sein, liegt mein Backpack zu ober erst und droht bei jeder Kurve (und das sind nicht wenige) herauszufallen.

Wie durch ein Wunder kommen wir dennoch wohlbehalten und nicht, wie erwartet, rucksacklos im Viertel des Qianmen Squares an, der umringt von kleinen, süßen Gässchen, „Hutongs“ genannt, im Herzen der Stadt liegt. Am Abend unseres ersten Tages in China schlendern Evi und ich durch die Straßen des nächtlichen Pekings. Es ist ein lauer Abend, die Atmosphäre ist entspannt und überall in den kleinen Gässchen wird getanzt und Musik gespielt. Mit uns ist Jérémy, ein Franzose, der in der transsibirischen Eisenbahn beschlossen hat, sich uns anzuschließen.





Um das China kennen zu lernen, wie man sich es immer vorgestellt hat, fahren wir zu einem Ort, wo wir genau das erleben sollen: Der Pearl Market. Ein unglaublich hektischer Ort, überfüllt mit Menschen, wo alle möglichen und unmöglichen Dinge verkauft werden. Kleine, drahtige Chinesinnen, die ihre Größe offensichtlich mit Lautstärke wettmachen wollen, preisen aufdringlich ihre Waren an. Von gefälschten Luis Vuittons bis gefälschtem Perlenschmuck gibt es hier alles, was der Mensch begehrt. Doch irgendetwas scheine ich falsch zu machen. Als ich versuche, einer –zunächst- überglücklichen Verkäuferin Schuhe für fünf Euro abzukaufen, erlebe ich mein blaues Wunder. Die nette kleine Chinesin von vor zehn Minuten wandelt sich in ein wütendes Ungeheuer und jagt mich schreiend aus ihrem Shop- ihre Schuhe wären 200 Euro wert, was ich mir erlaube!
Etwas verwirrt und eingeschüchtert wandere ich weiter durch den pulsierenden Markt ohne etwas zu kaufen, auf einmal fühle ich mich im Dunst der billigen Waren und der hysterischen Atmosphäre unwohl.

Lektion Nummer 1 zum Thema feilschen:
Lass die Verkäufer den ersten Preisvorschlag nennen!

Es ist Zeit, eines der berühmtesten Highlights Pekings zu besichtigen, das in ihrer Mitte liegt: Die verbotene Stadt. Der Name klingt mysteriös und geheimnisvoll und einst war die Stadt das auch: Für die einfache Bevölkerung Pekings war der Zutritt 491 Jahre lang verboten, während dort zwischen 1420 und 1911, in der Zeit der Qing und Ming Dynastien, 24 chinesische Kaiser residierten.
Doch die Realität heute ist etwas anders- tausende von Touristen drängen sich vor den Eingang der Stadt, den ein Porträt von Mao in Lebensgröße krönt.



Die Menschenmassen, die selbst jetzt, in der Nebensaison hereinströmen, zerstören etwas den Flair der Stadt. Dennoch ist es ein beeindruckender Anblick: Während auf der „Hauptstraße“ ein imposanter Tempel dem anderen folgt, gehen links und rechts unzählige kleine Gässchen ab, die sich Labyrinth-artig in die Ferne verlieren und schließlich in einen der 9999½ Räume der verbotenen Stadt enden.
Die Bauart der Mauern und Gebäude ist typisch chinesisch und sehr stilvoll- jeder Zentimeter Stein oder Holz ist mit Ornamenten geschmückt, bemalt oder mit Stuck besetzt. Die geschwungenen Dächer sind kunstvoll gestaltet, mit gelb, der Farbe des chinesischen Kaisers, glasiert und an jeder Ecke thronen kleine Statuen von Fabelwesen, die als Wächter der Kranken funktionieren sollen.

Verbotene Stadt



Am anderen Ende der Stadt liegt angrenzend an die Tempel ein idyllischer Park, in dem die sich kleine Ruheplätze mit Teichen und alten Bäumen abwechseln, ruhige chinesische Musik gibt der Atmosphäre ihre Harmonie.



Doch die verbotene Stadt ist nicht alles, was Peking zu bieten hat. Sehenswert ist auch der Konfuziustempel, der dem chinesischen Philosophen Konfuzius gewidmet ist. Eine interessante Ausstellung über das Leben und die Lehre Konfuzius‘ begleitet die Besucher während dem Spaziergang durch die Tempelgebäude. Konfuzius lebte von ca. 551 bis 479 vor Christus und lehrte das Erstreben von „Harmonie und Mitte, Gleichmut und Gleichgewicht“, das der Mensch vor allem durch den Respekt vor anderen Menschen und der Natur erreichen könne.

Konfuzius

Auch der Lamatempel (Yonghe-Tempel) hat viel zu geben. Die Architektur steht der der verbotenen Stadt in Nichts nach, wobei der Menschenandrang hier viel weniger und die Atmosphäre viel entspannter ist.
Es ist einer der größten lamaistischen Tempel außerhalb Tibets und wird auch Tempel des Friedens genannt, was die Stimmung dort passend beschreibt. Zahlreiche Buddhisten ehren ihre spirituellen Lehrer vor den Tempeln mit Räucherstäbchen, deren Duft sich über die ganze Tempelanlage breitet.





Der interessanteste Tempel ist die Halle des unendlichen Glücks, in der eine Buddhastatue aus Holz etwa 18 Meter in die Höhe und weitere 8 Meter unsichtbar in den Boden ragt.

Eine wahre Schönheit jedoch ist der Sommerpalast im Nordwesten Pekings, den wir an unserem vierten Tag in Peking entdecken. Die 290 Hektar große Anlage, die den Kaisern einst als Sommerresidenz diente, ist eine Mischung aus exorbitanter Gartenkunst und wunderschöner Architektur, die sich mit nichts vergleichen lässt. Der Eingang führt über eine verzierte Brücke, zu der sich rechts und links eine Art Miniaturvenedig erstreckt.
Danach ist ein kleiner Berg zu erklimmen, hinter dem sich ein atemberaubender Ausblick auf die riesige Parkanlage verbirgt.

Sommerpalast

Von einem Turm, der hoch über dem Park-See thront, blickt man über die ganze Pracht der Sommerresidenz, während kleine Bötchen, die die Menschen zu einer kleinen Insel hin und zurück bringen, wie kleine bunte Punkte über den See wandern.

Sommerpalast

Wir erwischen gerade so das letzte Bötchen, das zur Insel abfährt und laufen nach einer Erkundungstour über eine prunkvolle weiße Brücke zurück auf das Festland, von wo aus sich der Rest des Parks erforschen lässt. Der Sonnenuntergang lässt das Wasser elegant funkeln und die Reflexionen auf dem Brückengeländer tanzen bis die Sonne schließlich hinter den blassblauen Hügeln am Horizont verschwindet.



Fortsetzung folgt!



Freitag, 23. Dezember 2011
Die Mongolei- das Land der goldenen Steppen und unendlichen Horizonte
Der Sand wirbelt auf, als uns Ulan Bator endlich aus seinem stinkenden, rauchenden Schlund in die unberührte, reine Luft und die unendliche Weite der mongolischen Steppe spukt. Vier staunende Gesichter blicken wie ich mit großen Augen aus dem fahrenden Bus auf die Straße, die ins Nichts zu führen scheint, so weit kann man sie bis zum Horizont verfolgen.



Außer mir sind im Bus Evi, David, Rose (ein britisches Mädchen aus unserem Hostel), Jérémy, der Fahrer und unsere Leiterin und Köchin, Nassa.



Die ockerfarbenen Felder fliegen rechts und links an den Fenstern vorbei, bis wir zum Fuß eines imposanten Gebirges kommen- wir haben den Hebei National Park erreicht.
Im Schnee stapfen wir bis auf die zerklüfteten Bergkämme, vor uns laufen scheue Wildpferde in die Ferne davon und unter uns wird der Bus zum Spielzeugauto. Von den Gipfeln sieht man soweit das Auge reicht Felder und Berge, die sich ohne Unterbrechung ins Unendliche ziehen- keine Straßen, keine Häuser, keine Menschen.
Mit 2,75 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die etwa viermal so groß ist wie Deutschland, ist die Mongolei der am dünnsten besiedelte unabhängige Staat der Welt.



Die meisten der Einwohner leben wie die Familien, in deren Jurten wir auf unserem Trip unterkommen- als Nomaden, die mit dem Lauf der Sonne in der Steppe umherziehen. Es ist ein etwas anderes Leben, als wir es gewohnt sind: Eine Holzhütte mit Loch im Boden dient als Toilette (allerdings mit atemberaubendem Blick auf die Steppe), keine Küche, keine Dusche.



Die Gers (Jurten) bestehen aus runden Holzgerüsten, die mit Planen überdacht und innen mit bemalten Holzstreben und bunten Stoffen verkleidet sind. Eine hölzerne Tür, die stets nach Süden ausgerichtet ist, führt in das Innere der Jurte, in der sich meist ein Ofen für das Feuer, kreisförmig angeordnete Betten und ein Altar befinden. Gekocht wird über dem Feuer im Ger, gewaschen wird sich im Fluss einen Kilometer weiter, mit der Sonne wird aufgestanden und ins Bett gegangen- und bis auf die obligatorische Satellitenschüssel, die selbst mitten in der Steppe jeder hat, ringsum kilometerweit keine Spur von Zivilisation.





Dennoch (oder gerade deshalb?) sehen die Menschen gesund und glücklich aus- die Kinder spielen fröhlich mit allerhand Getier, das sich hier tummelt und lachen uns aus pausbäckigen und sonnengebräunten Gesichtern an. Apropos Sonne- der scheint es hier auch zu gefallen, sie scheint die ganzen sechs Tage, in denen die Steppe mein Zuhause ist, ununterbrochen vom endlosen türkisblauen Himmel.



Am Abend dieses Tages dann ein absolutes Highlight – die dunkle Silhoutte einer Gruppe Kamele taucht vor dem Horizont auf und wächst auf Lebensgröße an, bis sie schließlich vor uns stehen. Auf ihrem Rücken reiten wir los in Richtung Semigobi, deren feine weiße Sanddünen plötzlich wie eine Fata Morgana mitten in der Steppe auftauchen.





Die untergehende Sonne taucht die Landschaft in sanftes orange-rotes Licht und färbt den Himmel lilablassblau; ich fühle mich fast wie eine orientalische Wüstenprinzessin, deren Reich sich gleich hinter der nächsten Düne bis zum Horizont erstreckt.



Die Fahrten von einer zur nächsten Jurte sind ebenfalls ein Erlebnis- die Teerstraße ist mittlerweile Pfaden gewichen, die kreuz und quer ohne klar ersichtliche Ordnung durch die Steppe führen. Ab und zu durchqueren wir den einen oder anderen eisblauen Fluss oder scheuchen eine Herde Yaks auf, die in alle Richtungen davon stäuben.



Am dritten Tag reiten wir mit dem Vater einer der Familien auf kleinen, stämmigen Pferden zu einem Wasserfall, der sich aus einem tiefblauen Fluss in ein kleines gefrorenes Bassin ergibt- die Sonne bricht sich in der Gischt und erzeugt einen bunt schillernden Regenbogen, der sich über die Bucht spannt. Bis auf das Wasser, das in die Tiefe rauscht ist es unglaublich ruhig hier, ab und zu blökt ein Yak oder ein Schaf in die Stille hinein und es scheint, als ob die Zeit ist stehengeblieben wäre.

Tatsächlich haben wir nach unserer Rückkehr zu den Jurten recht viel vom Tag übrig, also erkunden wir ein nahgelegenes Vulkangesteinfeld, deren schwarze Steine an Knochen und Schädel von lange schon nicht mehr existierenden Tierarten erinnern.



Wir wandern so weit, bis uns ein breiter Fluss den Weg versperrt und halten ein Schläfchen unter dem Panoramahimmel, mit der Sonne im Gesicht und einem Lächeln auf den Lippen.

Auf den vierten Tag haben wir alle gewartet- wir erreichen die heißen Quellen. Aus einer natürlichen, ca. 80 Grad heißen Quelle führen Rohre zu einem angelegten Steinbad, in dem wir uns den ganzen Tag aufweichen lassen und dessen Dämpfe über die herbst-gelben Bäume und die Steppengräser um uns herum wabern.



Zum Abschluss eines wunderschönen Wüstentrips gibt es am fünften Tag ein beeindruckendes Konzert zweier Mongolen, die uns mongolische Volkslieder und Obertongesang vorführen, der Legenden nach seinen Ursprung in der Mongolei haben soll.



Nach einer letzten denkwürdigen Nacht im Ger, in der uns das Heulen der Wölfe auf den umliegenden Hügeln und das Knistern des Feuers in den Schlaf geleiten, geht es zurück in das Chaos Ulan Bators.

Es ist ein absolut großartiges Erlebnis, das Leben der Nomaden hautnah miterleben zu können und die Weite der Steppe fühlen zu dürfen- das ist die Mongolei, wie ich sie mir vorgestellt habe, das Land der goldenen Steppen und unendlichen Horizonte.




Dienstag, 20. Dezember 2011
Ulan Bator, oder die schwarze Seele des Dschingis Khan
Der Zug stoppt. Wir steigen aus und Ulan Bator, die Hauptstadt der Mongolei, breitet sich in all ihrer Hässlichkeit vor uns aus- tausende von Autos hupen, die Hochhäuser starren vor Dreck und Menschen drängen in alle Richtungen. Allein ein Drittel der Bevölkerung lebt hier und der Rest hat Glück, es nicht zu tun- es ist ein wenig anders, als ich es erwartet hatte vom Land der Nomaden und weiten Horizonte.
Etwas Hoffnung habe ich dennoch- Die Stadt liegt in einer Art Kessel flankiert von Bergen, die ringsum zwischen den Häusern hervorblitzen und etwas von der Ferne und Weite der goldenen Steppe versprechen, die ich dahinter vermute.



Doch zuerst fordere ich die Ulan Bator heraus, mir etwas mehr zu zeigen, mir Plätze und Orte zu offenbaren, die eine andere Seite der Stadt enthüllen, aber-
Fehlanzeige, die Stadt möchte ihr hässliches Gesicht wahren und mich offensichtlich in den Wahnsinn treiben.



Offenbar scheint nichts dort zu sein, wo es sein soll- 2 Stunden verzweifeln wir auf der Suche nach dem Ticketoffice für unsere nächsten Transsib-Tickets an den unübersichtlichen Vierteln, deren Nummerierung absolut keiner Logik folgt.
2 weitere Stunden laufen wir durch die breiten Straßen auf der Suche nach einem Restaurant und sind geschockt von Ulan Bators Brutalität: Dreimal Mal sehen wir blutende Menschen auf der Straße liegen und zweimal Schlägereien mitten auf der Straße- einige der Bewohner der Stadt eifern allem Anschein nach ihrem Exherrscher und wahrscheinlich größten Killer in der Geschichte der Menschheit nach- dem großen Dschingis Khan, dessen rießige Statue vor dem Parlamentsgebäude über den Suchbataarplatz blickt.

Hochzeit vor der Statue des Dschingis Khan

Als wir schließlich nach abermaligen 3 Stunden Suche am Schwarzmarkt ankommen, auf dem wir warme Kleidung für unseren bevorstehenden Wüstentrip besorgen wollen, ist es fast zu spät- es wird schon dunkel, alle Stände sind gerade dabei zu schließen und die meisten Menschen sind schon längst weg. Gehetzt laufen wir durch den Markt, um noch schnell dicke Jacken, Mützen und Schals zu finden. Aber als wir endlich das Nötigste beisammen haben, geht das Drama erst los.
Einer der Mongolen wird auf uns aufmerksam und fängt an, uns über den gesamten Markt zu folgen. Als wir schließlich stehen bleiben, um zu fragen, was er denn möchte, wird er aggressiv und will uns mit drohenden Gebärden zwingen, ihm Geld zu geben. Er sieht gefährlich aus in seinem langen, dunklen Ledermantel, den schwarzen Augen, die er zu Schlitzen zusammengekniffen hat und den Blutspuren im Gesicht- ich beginne doch, mir etwas Sorgen zu machen. Wir sprechen einige der Standbesitzer an, die noch da sind und schaffen es nach einer halben Stunde mit deren Hilfe, ihn zu vertreiben.

Am Abend desselben Abends haben wir eine Verabredung mit einem mongolischen Mädchen aus Ulan Bator über Couchsurfing, Bayarsegtseg heißt sie und bringt uns zur größten Party des Jahres in Ulan Bator, was bedeutet, dass es gleichzeitig die größte Party des Jahres in der ganzen Mongolei ist. Im Vergleich zu ihr sind wir mit unseren Trekkingschuhen und der mehr-oder-weniger Funktionskleidung etwas underdressed- aber egal- Party ist Party! Sie unterscheidet sich gar nicht so sehr von europäischen Partys, bloß dass ca. 500 Mongolen um uns herum tanzen und plötzlich inmitten des gar nicht mal so schlechten Elektro eine gar nicht mal so gute Live Band spielt. Lustig ist es trotzdem und entschädigt uns etwas von dem absolut furchtbaren Tag.

Dennoch scheint die kälteste Hauptstadt der Welt ihrer Bezeichnung wohl alle Ehre machen zu wollen und bereitet ihren Gästen alles andere als ein warmes Willkommen- Ulan Bator ist definitiv kein angenehmer Ort zu leben, was für ein Glück, dass ich das nicht muss.




Donnerstag, 15. Dezember 2011
Die Transsibirische Eisenbahn- Vodka auf Rädern
Der Zug Nummer 023 mit den gardinenverhängten Fenstern und der langsam abblätternden Farbe, die wohl ursprünglich mal grün war, gibt ein letztes, eindrucksvolles Tuten von sich und rollt los. Vor meinem inneren Auge sehe ich den Kamin der Lok dunklen Rauch ausstoßen, wie man es aus alten Filmen kennt. Heutzutage kommt der Rauch wohl höchstens von qualmenden Atomkraftwerken, die vorüberziehen. Schade eigentlich.



Nachdem meine Mitreisenden und ich unser Abteil inspiziert haben- es ist klein, die Stockbetten stehen dicht gedrängt, aber dennoch ist es irgendwie gemütlich- lernen wir Anatoli, unseren russischen Abteilgenossen kennen. Er ist schätzungsweise 55 Jahre alt, aus Cita, wie er uns mit Händen und Füßen erklärt (nein, er spricht kein englisch) und alles was er an Gepäck dabei hat, ist seine Garnitur Kleidung, die er trägt, ein Essenssack und ein eindrucksvoller 10 Liter Kanister mit ukrainischem Alkohol. Ja, er repräsentiert das Russland, wie ich es mir vorgestellt hatte.





Liebenswürdigerweise bietet er uns sofort seine Mitbringsel an- selbstverständlich müssen wir den Alkohol probieren, auch sein Essen dürfen wir nicht verschmähen und dann bietet er uns Tee in süßen Glastässchen mit verschnörkelter Silberfassung an, die vom Zugpersonal gestellt werden. Das heiße Wasser im Zug ist umsonst, wie es auch in allen anderen sowohl russischen, mongolischen und asiatischen Zügen der Fall sein wird, wie wir noch lernen sollen.
Die transsibirische Eisenbahn ist mit einer Länge von 9288 km die längste Eisenbahnverbindung der Welt und fährt über zwei Kontinente, durch 396 Bahnhöfe und 87 Städte.



Genauso viele Stunden Fahrt liegen vor uns- 87 Stunden, also etwa 4 Tage ohne Dusche und Bewegungsfreiheit-los geht’s, ich bin gewappnet!
Die Zeit fliegt, wie ich es nicht erwartet hätte, sie zieht vorbei, wie die Landschaft, die sich langsam, aber stetig wandelt. Die europäischen Nadelwälder weichen immer öfter offenen Flächen, die sich steppenartig in die weite Ferne ziehen. Das satte Grün der Laubbäume wandelt sich in das Ocker und Braungrün der Steppengräser und der mittlerweile herbstlichen Birkenbaumwälder.



Es gibt viel Zeit nachzudenken und nachzusinnen, über das Leben und über mein Leben im Speziellen, was ich will und was ich noch erreichen möchte.
Unterbrochen werde ich in meinen Gedanken, als wir von einem unserer russischen Abteilnachbarn entdeckt werden. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes einen (oder gleich mehrere?) im Tee und versucht, mit uns auf Russisch zu kommunizieren, wobei „kommunizieren“ ein absoluter Euphemismus ist. Ich rieche seine Fahne schon, bevor er unser Abteil betritt, doch anscheinend möchte er mir in Ermangelung geeigneter Kommunikationsmittel die exakte Bestimmung seines Lieblingsalkohols erleichtern, indem er sich mir auf zwei Zentimeter meinem Gesicht nähert. Erst richtig unangenehm wird es, als wir verstehen, dass er wohl Exsoldat ist und schließlich meinen männlichen Mitreisenden (David) zur Seite nimmt, um ihn zu fragen, ob er ihm mich und meine weibliche Mitreisende (Evi) für eine Nacht abkaufen könne. Alles Klar.
Als wir ihn endlich loswerden, bekommen wir als Abschiedsgeschenk ein Einmachglas mit etwas, das wohl Pilze darstellen soll und dabei aussieht, als sollte es besser wohl nie geöffnet werden, wenn man nicht gerade suizidgefährdet ist..

Die Tage kommen mir trotz der fehlenden Tätigkeit kurz vor- zum Einen täuscht die ständige Bewegung des Zuges Tätigkeit vor und zum Anderen reisen wir gegen den Lauf der Sonne- mit jedem Kilometer verlieren wir Zeit. In Peking werden es 7 Stunden sein, die ich verloren habe- Zeit erscheint auf einmal sehr abstrakt. Es wird hell, es wird dunkel, es wird hell, es wird dunkel… das Rattern des Zuges wiegt mich in den Schlaf.



Ich messe die Zeit an Ereignissen- am dritten Tag lernen wir Jérémy kennen, ein Franzose, der seine Weltreise eine Woche vor uns gestartet hat.



Er soll noch eine große Rolle in meiner Reise spielen und es soll auch dieser dritte Tag in der transsibirischen Eisenbahn sein, der mir wohl für immer im Gedächtnis bleiben wird.
Alkohol ist für die Mehrheit der russischen Männer im Zug die Hauptattraktion der ganzen Fahrt und jeder, der Lust hat, wird eingeladen mitzutrinken. Mein Mitreisender, David, nimmt diese Einladung etwas zu ernst und bringt das Desaster des Abends ins rollen.
Als er bereits geraume Zeit im russischen Trinkabteil verbracht hat, ist er schließlich so betrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann, kommt mit samt der ganzen russischen Trinkgemeinschaft vor unser Abteil und bricht dort zusammen.
Schöne Bescherung. Auf einmal werden wir von ca. 20 Russen umringt, die uns aufgeregt mitteilen, dass es nicht ihre Schuld sei (zumindest ist es das, was ich aus der Mimik ihrer Gesichter und ihren Gesten zu lesen glaube) und versuchen, alle gleichzeitig in unser Abteil zu drängen- es ist ein rießiges Durcheinander.
Es ist mittlerweile stockdunkel draußen und der Zug hat wegen der ganzen Aufregung mitten im Nichts gehalten. Evi und ich fühlen uns, konfrontiert damit, nicht ganz so wohl, also drehe ich David in die stabile Seitenlage, nehme seine Wertsachen und wir fliehen mit Jérémy, der mittlerweile auch auf unsere Situation aufmerksam geworden ist, zu dessen Abteil in der dritten Klasse.

Dort werden wir von einer süßen aserbaidschanischen Familie freundlich aufgenommen, deren 4 Kinder (oder mehr? Es ist nicht so klar ersichtlich, zu wem all die kleinen Menschen gehören, die überall herumwuseln) sich um uns herumsetzen und werden mit Tee und Nüssen versorgt. Wir lernen etwas russisch mit der 12jährigen Tochter, die wohl irgendwo ein paar Brocken englisch aufgeschnappt hat und sind im Abteil die Attraktion des Abends.

Als wir schließlich von der Zugschaffnerin zurück gescheucht werden, hat sich entgegen unserer Befürchtung die Aufregung beruhigt- David schnarcht einigermaßen friedlich vor sich hin und die Russen sind wohl auch schon in alkoholtrunkenen Träumen versunken.



Doch nicht nur im Zug spielt Alkohol eine große Rolle- seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist der Alkoholkonsum in Russland um ca. 5% angestiegen. Eine traurige Tatsache, wenn man bedenkt, dass Alkohol die Ursache von etwa 52% aller Todesfälle russischer Männer zwischen 25 und 54 Jahren ist.. Ein weiterer Aspekt hat mir stutzen lassen-laut BBC wurde bis Juli diesen Jahres in Russland Bier nicht als Alkohol gezählt- kein Wunder, dass die Dunkelziffer an geschätzten Alkoholikern in Russland bei ca. 5 Millionen liegt.

Dennoch habe ich Russland positiver als erwartet erlebt– die Menschen sind unglaublich hilfsbereit und eines habe ich gelernt- nicht immer ist es besser in der ersten oder zweiten Klasse Zug zu fahren- in der dritten Klasse (platzkartny) erlebt man viel mehr Kontakt mit den Einheimischen, da es keine Abteile gibt- es wird untereinander geteilt , ob es Essen oder Neuigkeiten aus der Familie sind.

Generell war die Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte- klar, es ist ein Abenteuer, aber eines, das es durchaus wert ist.




Donnerstag, 8. Dezember 2011
Liebesgrüße aus Moskau
Als ich aus der Ankunftshalle des Moskauer Flughafens ins Freie trete, meinen 20 Kilo- Backpack auf dem Rücken und den Geschmack von Freiheit auf der Zunge, heißt mich die eisige Luft Russlands Willkommen.
Die fremdartigen Zeichen der kyrillischen Schrift überall um mich lassen mich spüren, wie weit ich von zu Hause und wie nah ich der heiß ersehnten Freiheit bin. Es ist eine ungewohnte Situation- ich reise mit zwei Fremden in die Wildnis Sibiriens ohne eines Wortes der Landessprache mächtig zu sein und doch zieht mich die Abenteuerlust weiter hinaus, weiter in ungeahnte Sphären und neue Welten.

Der erste Kontakt mit den Einwohnern Russlands ist seltsam- keiner scheint englisch zu sprechen, was für eine Weltmetropole wie Moskau doch sehr ungewöhnlich scheint. Die sowjetische Vergangenheit hat wohl doch noch einen großen Einfluss auf das Russland von Heute, selbst die jüngere Generation scheint im Hinblick auf die Weltsprache keinen bedeutenden Profit vom Fall des eisernen Vorhangs zu haben.
Nichtsdestotrotz schaffen wir es, Tickets in das Herz Moskaus zu organisieren und unseren ersten Anlaufpunkt zu finden: Die Station Sviblovo, wo Maria, ein russisches Mädchen wohnt, die uns über die Seite Couchsurfing.com angeboten hat, uns bei sich für 3 Tage aufzunehmen.
Gleich nach der Ankunft werden wir mit russischer Gemüsesuppe versorgt, Maria ist Vegetarierin (und Nicht-Trinkerin, was mich angesichts meiner Erwartungen bezüglich Russland doch sehr erstaunt), die wir zusammen mit ihrem Freund Michail auf dem Boden sitzend verspeisen- es gibt statt Stühlen ein interessantes Gespräch über die Weltpolitik, Psychologie und russische Musik.

Meine Mitreisenden Evi und David (rechts und links im Bild), Masza, unser Host und ihre Freundin Natascha

Moskau selbst ist in Etwa so, wie ich es mir vorgestellt habe- extremer Reichtum trifft auf extreme Armut. Hinter wunderschönen Kirchen mit den obligatorischen Zwiebeltürmchen, die vor Prunk nur so strotzen, erheben sich weit in den Himmel reichende Hochhäuser, denen man ansieht, wie es um ihre Bewohner steht. Vor den prächtigen Staatsgebäuden stehen in Doppelreihen die Luxuskarossen der hohen Minister, während der Durchschnittsrusse rostige Secondhandkarren aus Japan mit dem Lenkrad auf der falschen Seite fährt.

Kleine bunte Kirche vor einem rießigen Hochhaus



Und auch den Vierteln, die außerhalb der City liegen, sieht man die Armut deutlich an- heruntergekommene Hochhäuser drängen sich aneinander wie ihre Bewohner morgens in der Metro auf dem Weg zur Arbeit und die Menschen laufen durch Bögen aus Stahlrohren zu ihren Wohnungen, deren Inhalt nicht ganz ersichtlich ist, aber äußerst seltsam riecht.



Dennoch bietet die Stadt viel Interessantes zu sehen an- der rote Platz beispielsweise ist beeindruckend. Er wird im Nordwesten vom National Museum begrenzt, das mit seinen weißen Dächern auf dem roten Rumpf aussieht, als wäre es mit Zucker bestreut. Im Nordosten steht das riesige GUM- Kaufhaus, im Südwesten sieht man die Mauer des Kreml und des Leningrabes, was dem roten Platz durch die düster-grauen Mauersteine etwas an Schönheit nimmt und im Südosten thront das beeindruckendste Gebäude des roten Platzes: die Basilius Kathedrale mit seinen Zwiebeltürmchen in allen Formen und Farben, die triumphal in den Himmel ragen.

Der rote Platz



Jede Stunde wird vor dem Kreml eine Zeremonie durchgeführt, die für mich die Mentalität der Russen im Allgemeinen recht gut beschreibt: Junge Männer, die, wie wir von Maria erfahren, ausschließlich Söhne reicher Eltern sind, marschieren in Soldatenuniform mit Militärgebarden um ein unendliches Feuer, pfeifen ab und zu schrill in eine Pfeife und marschieren wieder ab, was den gefallenen Soldaten im zweiten Weltkrieg gedenken soll, aber für Nicht-Russen eher etwas aggressiv und vor allem äußerst seltsam anmutet.

Eigenartige Zeremonie vor dem Kreml zum Gedenken der im 2. Weltkrieg gefallenen Soldaten

Sehenswert ist außerdem „Arbat“, die Künstlerstraße Moskaus. Während Künstler, von expressionistischen Malern über moderne Street Art bis hin zu exzentrischen Tänzern, hier ihr Können zeigen, kann man nebenbei sowohl klassische, als auch ausgefallene russische Architektur bewundern.

Künstlerin auf einer Brücke über der Moskwa

Wer danach zu erschöpft ist zu laufen, aber dennoch etwas mehr von der Stadt sehen möchte, kann sich ein Ticket für die Einschienen- Hochbahn (Monorail) etwas außerhalb der Stadt kaufen (z.B von der Station Timiryazevskaya zu VDNKh, leider bisher nicht auf jedem Metroplan verzeichnet), die langsam entlang der Skyline der Stadt mit seinen belebten Straßen und vergoldeten Türmchen fährt. Die Bahn sollte ursprünglich gebaut werden, um im Zuge der Bewerbung Moskaus als Ausrichter der Expo 2010 das Metrosystem zu modernisieren und die Verbindung zu den internationalen Flughäfen zu verbessern. Nachdem Shanghai als Ausrichter der Expo 2010 erkoren und die Rentabilität der Monorail-Bahn in Relation zu ihrer Geschwindigkeit (kaum schneller als die parallel fahrenden Straßenbahnen) Infrage gestellt wurde, wurde der weitere Bau eingestellt.

Moskau im Allgemeinen wirkt überdimensioniert, in Etwa so wie sich auch die Politiker des Landes geben- es wird versucht, mit Äußerlichkeiten zu ersetzen, was dem Inneren an Struktur fehlt.



Im Gegensatz dazu sind die Menschen, die ich treffe, unglaublich hilfsbereit und großzügig, was sich auch später noch bestätigen wird. Sobald man nur ansatzweise verwirrt und suchend aussieht, ist sofort jemand zur Stelle, der seine Hilfe anbietet und man fühlt sich trotz der Sprachbarriere nicht allein gelassen.

Apropos Sprachbarriere: Überraschenderweise (oder vielleicht auch nicht) sprechen viele der jungen Mädchen in Russland deutsch- unsere Gastgeberin Masza (wie sie von ihren Freunden genannt wird) ist das beste Beispiel dafür-anscheinend haben viele den Wunsch, als Aupair nach Deutschland zu gehen und ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen, um vielleicht später dort mal ihr Geld zu verdienen.
Von dem Wunsch russischer Frauen, einen deutschen Mann zu treffen oder gar zu heiraten, was mittlerweile immer öfter Thema in den Medien wird, höre ich von Masza nichts, ebenfalls nicht von einer ihrer Freundinnen, die bereits ihr Aupairjahr in Deutschland sicher hat- aber ich scheine mit den Beiden auch nicht an russischen Durchschnittsfrauen geraten zu sein, wie man sie doch recht häufig auf den Moskauer Straßen sieht:
Gepflegt, Highheels tragend und teilweise etwas exzentrisch gekleidet (wenn man nicht gerade an Pelz und an übertriebene Verwendung von Wildkatzenmustern gewöhnt ist ).

Trotz der großen Unterschiede ist Moskau immer noch eine beliebte Stadt- mit 11,55 Millionen Einwohnern ist sie die größte Stadt Europas und damit zugleich eine der teuersten Städte der Welt laut der Forbes-Liste der World's Most Expensive Cities To Live von 2009.