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5000 Hours around the world: Die Transsibirische Eisenbahn- Vodka auf Rädern
Die Transsibirische Eisenbahn- Vodka auf Rädern
Der Zug Nummer 023 mit den gardinenverhängten Fenstern und der langsam abblätternden Farbe, die wohl ursprünglich mal grün war, gibt ein letztes, eindrucksvolles Tuten von sich und rollt los. Vor meinem inneren Auge sehe ich den Kamin der Lok dunklen Rauch ausstoßen, wie man es aus alten Filmen kennt. Heutzutage kommt der Rauch wohl höchstens von qualmenden Atomkraftwerken, die vorüberziehen. Schade eigentlich.



Nachdem meine Mitreisenden und ich unser Abteil inspiziert haben- es ist klein, die Stockbetten stehen dicht gedrängt, aber dennoch ist es irgendwie gemütlich- lernen wir Anatoli, unseren russischen Abteilgenossen kennen. Er ist schätzungsweise 55 Jahre alt, aus Cita, wie er uns mit Händen und Füßen erklärt (nein, er spricht kein englisch) und alles was er an Gepäck dabei hat, ist seine Garnitur Kleidung, die er trägt, ein Essenssack und ein eindrucksvoller 10 Liter Kanister mit ukrainischem Alkohol. Ja, er repräsentiert das Russland, wie ich es mir vorgestellt hatte.





Liebenswürdigerweise bietet er uns sofort seine Mitbringsel an- selbstverständlich müssen wir den Alkohol probieren, auch sein Essen dürfen wir nicht verschmähen und dann bietet er uns Tee in süßen Glastässchen mit verschnörkelter Silberfassung an, die vom Zugpersonal gestellt werden. Das heiße Wasser im Zug ist umsonst, wie es auch in allen anderen sowohl russischen, mongolischen und asiatischen Zügen der Fall sein wird, wie wir noch lernen sollen.
Die transsibirische Eisenbahn ist mit einer Länge von 9288 km die längste Eisenbahnverbindung der Welt und fährt über zwei Kontinente, durch 396 Bahnhöfe und 87 Städte.



Genauso viele Stunden Fahrt liegen vor uns- 87 Stunden, also etwa 4 Tage ohne Dusche und Bewegungsfreiheit-los geht’s, ich bin gewappnet!
Die Zeit fliegt, wie ich es nicht erwartet hätte, sie zieht vorbei, wie die Landschaft, die sich langsam, aber stetig wandelt. Die europäischen Nadelwälder weichen immer öfter offenen Flächen, die sich steppenartig in die weite Ferne ziehen. Das satte Grün der Laubbäume wandelt sich in das Ocker und Braungrün der Steppengräser und der mittlerweile herbstlichen Birkenbaumwälder.



Es gibt viel Zeit nachzudenken und nachzusinnen, über das Leben und über mein Leben im Speziellen, was ich will und was ich noch erreichen möchte.
Unterbrochen werde ich in meinen Gedanken, als wir von einem unserer russischen Abteilnachbarn entdeckt werden. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes einen (oder gleich mehrere?) im Tee und versucht, mit uns auf Russisch zu kommunizieren, wobei „kommunizieren“ ein absoluter Euphemismus ist. Ich rieche seine Fahne schon, bevor er unser Abteil betritt, doch anscheinend möchte er mir in Ermangelung geeigneter Kommunikationsmittel die exakte Bestimmung seines Lieblingsalkohols erleichtern, indem er sich mir auf zwei Zentimeter meinem Gesicht nähert. Erst richtig unangenehm wird es, als wir verstehen, dass er wohl Exsoldat ist und schließlich meinen männlichen Mitreisenden (David) zur Seite nimmt, um ihn zu fragen, ob er ihm mich und meine weibliche Mitreisende (Evi) für eine Nacht abkaufen könne. Alles Klar.
Als wir ihn endlich loswerden, bekommen wir als Abschiedsgeschenk ein Einmachglas mit etwas, das wohl Pilze darstellen soll und dabei aussieht, als sollte es besser wohl nie geöffnet werden, wenn man nicht gerade suizidgefährdet ist..

Die Tage kommen mir trotz der fehlenden Tätigkeit kurz vor- zum Einen täuscht die ständige Bewegung des Zuges Tätigkeit vor und zum Anderen reisen wir gegen den Lauf der Sonne- mit jedem Kilometer verlieren wir Zeit. In Peking werden es 7 Stunden sein, die ich verloren habe- Zeit erscheint auf einmal sehr abstrakt. Es wird hell, es wird dunkel, es wird hell, es wird dunkel… das Rattern des Zuges wiegt mich in den Schlaf.



Ich messe die Zeit an Ereignissen- am dritten Tag lernen wir Jérémy kennen, ein Franzose, der seine Weltreise eine Woche vor uns gestartet hat.



Er soll noch eine große Rolle in meiner Reise spielen und es soll auch dieser dritte Tag in der transsibirischen Eisenbahn sein, der mir wohl für immer im Gedächtnis bleiben wird.
Alkohol ist für die Mehrheit der russischen Männer im Zug die Hauptattraktion der ganzen Fahrt und jeder, der Lust hat, wird eingeladen mitzutrinken. Mein Mitreisender, David, nimmt diese Einladung etwas zu ernst und bringt das Desaster des Abends ins rollen.
Als er bereits geraume Zeit im russischen Trinkabteil verbracht hat, ist er schließlich so betrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann, kommt mit samt der ganzen russischen Trinkgemeinschaft vor unser Abteil und bricht dort zusammen.
Schöne Bescherung. Auf einmal werden wir von ca. 20 Russen umringt, die uns aufgeregt mitteilen, dass es nicht ihre Schuld sei (zumindest ist es das, was ich aus der Mimik ihrer Gesichter und ihren Gesten zu lesen glaube) und versuchen, alle gleichzeitig in unser Abteil zu drängen- es ist ein rießiges Durcheinander.
Es ist mittlerweile stockdunkel draußen und der Zug hat wegen der ganzen Aufregung mitten im Nichts gehalten. Evi und ich fühlen uns, konfrontiert damit, nicht ganz so wohl, also drehe ich David in die stabile Seitenlage, nehme seine Wertsachen und wir fliehen mit Jérémy, der mittlerweile auch auf unsere Situation aufmerksam geworden ist, zu dessen Abteil in der dritten Klasse.

Dort werden wir von einer süßen aserbaidschanischen Familie freundlich aufgenommen, deren 4 Kinder (oder mehr? Es ist nicht so klar ersichtlich, zu wem all die kleinen Menschen gehören, die überall herumwuseln) sich um uns herumsetzen und werden mit Tee und Nüssen versorgt. Wir lernen etwas russisch mit der 12jährigen Tochter, die wohl irgendwo ein paar Brocken englisch aufgeschnappt hat und sind im Abteil die Attraktion des Abends.

Als wir schließlich von der Zugschaffnerin zurück gescheucht werden, hat sich entgegen unserer Befürchtung die Aufregung beruhigt- David schnarcht einigermaßen friedlich vor sich hin und die Russen sind wohl auch schon in alkoholtrunkenen Träumen versunken.



Doch nicht nur im Zug spielt Alkohol eine große Rolle- seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist der Alkoholkonsum in Russland um ca. 5% angestiegen. Eine traurige Tatsache, wenn man bedenkt, dass Alkohol die Ursache von etwa 52% aller Todesfälle russischer Männer zwischen 25 und 54 Jahren ist.. Ein weiterer Aspekt hat mir stutzen lassen-laut BBC wurde bis Juli diesen Jahres in Russland Bier nicht als Alkohol gezählt- kein Wunder, dass die Dunkelziffer an geschätzten Alkoholikern in Russland bei ca. 5 Millionen liegt.

Dennoch habe ich Russland positiver als erwartet erlebt– die Menschen sind unglaublich hilfsbereit und eines habe ich gelernt- nicht immer ist es besser in der ersten oder zweiten Klasse Zug zu fahren- in der dritten Klasse (platzkartny) erlebt man viel mehr Kontakt mit den Einheimischen, da es keine Abteile gibt- es wird untereinander geteilt , ob es Essen oder Neuigkeiten aus der Familie sind.

Generell war die Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte- klar, es ist ein Abenteuer, aber eines, das es durchaus wert ist.