Shenzhen oder Das chinesische Überraschungsei (27.- 31.10. 2011)
Unser erster Monat in China neigt sich langsam dem Ende zu, am 8.11 müssen wir bereits das Land verlassen haben. Da Evi und ich allerdings ein Visum mit doppeltem Eintritt besitzen, beschließen wir nach Hongkong zu fahren und von dort einen weiteren Monat China anzutreten. Hongkong gehört als Sonderverwaltungszone mit seinem Autonomiestatus und demokratisch marktwirtschaftlichem System visatechnisch nicht zur Volksrepublik China, also können wir so einmal aus- als auch wieder nach China hinein reisen.
Doch wie wir erfahren sollen, lässt Shanghai uns nicht einfach so ziehen, wie wir uns das vorgestellt haben. Am Ticketschalter des Bahnhofs der Schock- bis Dezember sind alle Tickets nach Hongkong ausgebucht!
Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns schließlich, dem Tipp von Jennifer, unserem Couchsurfing Host, nach zu gehen und kaufen uns Tickets nach Shenzhen. Die Stadt, die lediglich durch einen Fluss von Hongkong getrennt noch auf der Seite Chinas liegt, ist durch eine U-Bahn mit HK verbunden, mit der man gleichzeitig die Grenze überqueren kann. Soweit der Plan.
Dieses Mal haben wir Erfolg und erstehen dritte Klasse Schlafwagons, Hard Sleeper genannt, deren Betten gar nicht so unbequem sind, wie der Name verspricht; aber im Vergleich zu unseren ersten beiden Zugfahrten in China hätte ich wohl jede brettharte Matte, die größer als die 20x20 Quadratzentimeter der Hard Seats ist, als bequem empfunden.
Im Zugwagon gibt es etwa 10 offene Abteile, in denen sich jeweils zwei Dreierstockbetten gegenüberstehen. Viel Platz ist zwar nicht und der gemeine Chinese liebt es auch hier, laut schlürfend die vor Chilipulver rot schimmernde Instantnudelsuppe in sich hineinzuschütten, aber es gibt Decken und Kissen und Platz für die Beine- purer Luxus! Gegen 10 Uhr nachts wird dann ohne Warnung das Licht gekappt (etwas verwirrend, wenn man gerade beim abendlichen Imbiss sitzt und plötzlich die Stulle im Nichts verschwindet) und fast gleichzeitig setzt ein ohrenbetäubendes Schnarchkonzert des dicklichen Familienvaters unter mir und des etwa 16-jährigen Karaoke-Freaks über mir (oh ja, Karaoke, im Zug, in voller Lautstärke) ein. Dann mal gute Nacht.
In Shenzhen angekommen gibt es erstmal ein riesiges Chaos, da wir den Bus zu unserem Hotel nicht finden können. Es liegt etwas außerhalb des Stadtkerns, da alle Hotels dort schon ausgebucht sind- offensichtlich hatten wohl Einige dieselbe Idee wie wir. Da sich selbst die Chinesen hier unschlüssig sind, wo denn der Bus nun fährt, irren wir diverse Stunden durch die Stadt bis wir das Hotel endlich finden. Doch selbst hier angekommen, können wir noch nicht in die Betten fallen- dem Personal zufolge sind die Preise viel höher als wir recherchiert hatten und sowieso sei das Hotel ausgebucht. Das ist uns völlig unerklärlich, denn einer Bookingseite im Internet nach ist das Hotel zu 80% unausgelastet. Schließlich buchen wir über das Internet (das wir über den Computer in der Lobby des Hotels benutzen) ein 3 Bett Zimmer zu einem absolut günstigen Preis und siehe da- das Personal findet plötzlich doch noch Platz für uns. Seltsam.
Es ist mittlerweile schon Donnerstagabend und wir beschließen, erst Montag (und damit Arbeitstag) nach Hongkong zu fahren, damit Jérémy sein zweites Visum für China am Amt gleich beantragen kann. Also haben wir etwas Zeit, Shenzhen zu besichtigen und ich fahre mit Jérémy zu einem wunderschönen Botanischen Garten, der sich über 214 Quadratkilometer etwas außerhalb der Stadt erstreckt. Es ist zugleich ein beliebtes Ausflugsziel für chinesische Familien, die hier mit Kind und Kegel anrücken und riesige Picknicks veranstalten. Das erste Mal seit Anfang meiner Reise ist das Klima subtropisch- es hat 30 Grad im Schatten (Ende Oktober!) und ich trage das erste Mal Rock und Flipflops.
Auf einem Hügel, von dem man einen schönen Blick über den Park hat, steht ein Tempel, in dem immer noch Mönche leben und arbeiten. Wir eifern ein Paar Einheimischen nach, die in eine kleine gusseiserne Pagode vor dem Tempel Münzen werfen, anscheinend eine Art Brauch, die Glück bringt, sollte man in das Innere treffen. Jérémy hat das irgendwie nicht so ganz verstanden und wirft kurzerhand die Münze durch die Pagode durch, so dass sie auf der anderen Seite- und auf dem Kopf eines betenden Mönches landet. Schnell weg hier…
Wir wandern etwas durch den Park und kommen an einen kleinen See, auf dem wir eine Bootstour machen. Als wir am anderen Ende des Sees ankommen, kann ich meinen Augen kaum trauen- vor uns sitzt in etwa 15 Metern Entfernung ein Eisvogel! Ein unerwartet schöner Zwischenstopp, Shenzhen!
Am nächsten Tag entdecken wir, dass der Strand von Shenzhen nicht weit ist und Evi und ich rücken aus, um diesen unter die Lupe zu nehmen. Mithilfe einiger Zeichnungen und Schriftzeichen, die ich aus dem Internet abgemalt habe, schaffen wir es, dort anzukommen. Auch hier nur chinesische Familien und Jugendliche, weit und breit kein weißes Gesicht außer uns. Das scheint auch den Chinesen aufzufallen, denn nachdem wir 10 Minuten im Sand sitzen und die Sonne genießen, kommen plötzlich zwei junge Chinesinnen auf uns zu, die uns kichernd um die Erlaubnis bitten, ein Bild von uns machen zu dürfen. Als ob das den Startpfiff gegeben hätte, strömt auf einmal eine ganze Schar von Chinesen herbei, die sich vor uns mit ihren Kameras aufbauen und wie wild zum fotografieren anfangen. Ich fühle mich etwas wie eine Zooattraktion.
Auch die Badegewohnheiten sind etwas seltsam- während wir im Bikini dasitzend um uns herumschauen, sehen wir, dass wir auch damit die Einzigen hier sind- fast alle Chinesen, vor allem die Mädchen, gehen mit ihrer gesamten Garderobe ins Wasser- samt Jeans und Sweatshirt. Anscheinend ist China in dieser Hinsicht doch noch etwas konservativ. Aber wir sind ja auch noch nicht in Hongkong…